Vorbemerkung:
Dieser Beitrag ist schon einige Zeit fertig, aber bisher zögerte ich, ihn tatsächlich zu veröffentlichen, weil er sehr persönlich / privat ist. Heute habe ich mir nun selbst das OK dafür gegeben. Ich wünsche viel Freude beim Betrachten der Bilder.
"Die fantastischen Fifties"
Unter diesem Titel erschien vor einiger Zeit eine Ausgabe der Burda - "Vintage Burda" - mit 12 Originalschnitten aus Burda-Heften der 50er Jahre.
Das für mich bestellte Exemplar holte ich mir am Erscheinungstag gleich morgens um kurz nach 7 bei meinem Lieblingskiosk ab.
Schon kurz darauf erschienen im Netz die ersten Kommentare dazu. Teils wurde gelobt, teils kritisiert.
Lob gab es, weil immerhin 10 Schnitte in den Größen 36 - 44 und 2 in 34 - 42 enthalten sind. Darunter eine tolle Strandkombination, Shorts mit Oberteil zum geknöpften, ausgestellten Rock (leider nur bis 42), ein schmal auf Figur geschnittenes Kostum, Tanzkleider ...
Jedes der Modelle wird ergänzt durch einen Begleittext sowie Fotos, auf denen prominente Damen dieser Zeit Kleider ähnlicher Art trugen.
Meine Kritik an dem Heft bezieht sich zum einen auf die Stoffwahl, zum anderen auf die Stylingvorschläge zu den Modellen. Die Stoffauswahl ist teilweise lieblos und effektheischend: kitschiges Barbie-rosa zum Tanzkleid, Goldlamé zum Cocktailkleid oder glänzender Satin für einen
Tagesrock … Schade, die Mode der 50er wird auf manchen Fotos eher karikiert als dass sie
wertschätzend dargestellt wird.
Die Styling-Vorschläge orientieren sich an aktuellen Trends. Man versucht, den Stil der 50er in die heutige Zeit zu transportieren. Da werden Loafers zum Tanzkleid gesellt, ein Tanzkleid mit einem Zylinder "aufgepeppt" oder Plateauschuhe der 70er mit nach unten breiter werdendem Absatz zum Cocktailkleid vorgeschlagen.
Retro würde ich anders darstellen.
Bild von burdastyle.de - Kleid "Fiore"
Das Kleid ist ein Traum - aber der Zylinder??? - im Grunde sieht er dazu nicht übel aus, in den 50ern wäre er aber allenfalls zum Fasching getragen worden.
Die Vintage Burda zeigt also Kleidungsstücke, wie sie damals nach Vorbildern bekannter Modeschöpfer oder bekannter Stars in Burda-Schnitte umgesetzt wurden.
Die Entwürfe der seinerzeit stilprägenden Designer sind uns aus vielen Abbildungen bekannt. Auch aus alten Filmen ist uns der Look geläufig.
Aber was trugen "normale" Frauen damals im "echten" Leben? Wie sah der "Streetstyle" dieser Zeit aus?
Um darüber mehr zu erfahren, genügt oft schon ein Blick ins Familienalbum. Dazu lade ich Euch jetzt ein.
Die Mode der Fünfziger im Alltag - aus einem ganz persönlichen Blickwinkel
1950: Das Bolerokleid
Sommerliches Trägerkleid mit Glockenrock und dazu passendem Bolero. Der Rock bedeckt das Knie gut eine Hand breit.
Große, tropische Blumen in satten Farben der Herbstpalette sind das Muster dieses Kleids. Dazu wurden Sling-Pumps mit kleinem, stabilem Absatz in Velours-Leder getragen.
1951: Weit schwingendes Kleid mit Rüschenzier
Deutlich länger wurden Kleider mit Telerröcken getragen. Die leicht gerafften Ärmel dieses weiten Kleids mit diagonal geschnittenem Rock reichten bis zum Ellenbogen. Ausschnitt und Armabschluß wurden mit einer Rüsche verziert. Die Weite des Kleids konnte durch breite Bindebänder im Rücken regliert werden und sorgten für eine betonte Taille. Das Kleid war von einer Schneiderin angefertigt.
Gekaufte und angefertigte Kleidung standen damals gleichberechtigt nebeneinander. Viele Frauen waren Schneiderin von Beruf und arbeiteten zu Hause. Sich ein Kleid bei der Schneiderin in der Nachbarschaft anfertigen zu lassen, war auch für "kleine Leute" erschwinglich und durchaus üblich.
1951: Weites Kleid mit Carreeausschnitt
Auch dieses Kleid mit Carreeausschnitt, kleinem Kelchkragen und drapiertem Brustbereich war maßgeschneidert. Die halblangen Ärmel hatten bequeme Weite. Natürlich hatte der Rock schwingende Weite und die damals dazu übliche Länge.
Das Kleid wurde ohne Pettycoat getragen. Steife Pettycoats gehörten nach meiner Wahrnehmung erst ab Mitte / zweite Hälfte der 50er zum allgemeinen Erscheinungsbild auf den Straßen.
1951: Streifenkleid
Das einfache Streifenkleid mit überschnittener Schulter weist einige kleine Besonderheiten auf: kleiner V-Ausschnitt mit angesetzten Kragen. Der Pfiff des Kleids entsteht durch die interessante Kombination der Streifen beim Zuschnitt.
Da der Rock nur ausgestellt, jedoch nicht weit schwingend ist, fällt die Länge etwas kürzer aus.
Kombiniert zum Kleid wurden Sandalen mit Söckchen oder Schnürschuhe mit Absatz, die "Trotteurs" genannt wurden.
Streifenkleider wurden damals sehr ansprechend zugeschnitten. Zum quergesteiften, in Falten gelegten Rock war das mehrteilig zugeschnittene Oberteil in der vorderen Mitte längs gestreift und an den Seitenteilen diagonal zugeschnitten, wodurch die Taille sehr schmal wirkte. Oder der Rock wurde in ausgestellten Teilen zugeschnitten, wodurch ein Zackeneffekt entstand.
1951: Schneiderkostüm aus englischem Tuch
Maßgefertigt aus englischem Tuch war dieses einreihig geknöpfte, stark taillierte Kostüm mit betonten Schultern, das deutlich an einen Herrenanzug erinnert. Ein Tüchlein gehörte selbstverständlich in die Brusttasche. Der Rock mit Kellerfalte ist leicht ausgestellt. Die hoch geschlossene Bluse dazu wirkt streng.
Nach der Improvisation in der Mitte und den späten 40er Jahren, - Kleider aus Fallschirmseide, handgestrickte Pullis aus aufgezogenen Zuckersäcken - , genoss man in den frühen 50ern die neue Vielfalt in den Stoffläden. Und man legte Wert auf Qualität.
1954: Quer gestreifter Wollmantel
Neben taillierten, weitschwingenden Mänteln waren in
den 50ern auch gerade Mantelformen vertreten. Hier ein anthrazit-dunkelgrau gestreiftes Modell mit Kelchkragen. Kleine Abnäher
sorgen dafür, dass der recht weite Raglanärmel zum Handgelenk hin schmäler
wird. Ergänzt wurde der Mantel durch Pumps und Strümpfe mit dunkler Naht.
Das kleine Model trägt zu ihrem Hängerchen mit Smokpasse ein d'blaues Cordmäntelchen und d'blaue Schnürstiefel.
1955: Noch ein Bolerokleid
Das Oberteil mit verlängerter Taille hat Raffungen. Der angesetzte, weite Rock ist an der Ansatznaht gekräuselt. Beliebtes Druckmotiv: Blütenranken.
Ohne Bolero wurde das Trägerkleid nur im famliliären Kreis, etwa im Garten oder aber am Strand / im Freibad getragen. In der Öffentlichkeit gehörte das Bolero darüber, um angemessen gekleidet zu sein.

Retrokleider gab es in den darauf folgenden Jahrzehnten immer wieder: hier ein Kleid aus der 2. Hälfte der 80er Jahre mit verlängerter Taille und angesetztem, ausgestelltem Rock, zu dem ein Bolero mit kurzem Arm gehörte. Der Druck zeigt exotische Blüten und Dschungelpflanzen.
Auch tropische Blüten tauchen immer wieder auf, z. B. auf diesem zweiteiligen Kleid mit überschnittenen Schultern von 2014.
1957: Das Tailleur, perfekte Frühjahrsgarderobe zum Flanieren
Der Laufsteg der kleinen Leute war der Sonntagsspazierweg.
Die Arbeitszeit betrug 48 Std pro Woche, das bedeutete achteinhalb Stunden täglich und samstags bis 14 Uhr arbeiten. Der Samstag Nachmittag wurde Haushalt, Garten und der Körperpflege gewidmet. Fließend warmes Wasser für das Wannenbad kam aus dem Badeofen, der dafür extra befeuert werden musste. Wer in seiner Vorkriegswohnung kein Bad hatte, ging ins öffentliche Wannenbad, wo man sich für eine Zeiteinheit eine Kabine mit Badewanne mieten und ausgiebig baden konnte - mit Fichtennadelbrausetabletten.
Sonntag war der Höhepunkt der Woche. Gleich nach dem Mittagessen zog man sich fürs Flanieren um.
Die besten Kleidungsstücke wurden ausgewählt, das Haar sorgfältig frisiert, Puder und Lippenstift aufgetragen. Für den eleganten Duft sorgte 4711 Kölnisch Wasser oder Tosca. Beide Marken wurden in den unterschiedlichsten Größen angeboten und waren auch als Geschenk sehr beliebt.
Angenehm duftend und sorgfältig ausgestattet ging es dann los zum Sonntagsspaziergang oder -ausflug. Überall waren Leute unterwegs - und alle sorgfältig gekleidet. Die Herren, egal ob Bau- oder Fabrikarbeiter oder Büroangestellter, trugen zum Anzug oder zu Sakko und Tuchhose ein weißes Hemd mit Kravatte.
Die Damen ... nun, Beispiele sind hier zu sehen.
Dieses figurbetonte Kostüm mit Montagegürtel über der Schößchenjacke wurde als Tailleur bezeichnet. Aus d'blauem Rips mit überzogenen Knöpfen wirkte es zurückhaltend elegant. Vervollständigt wurde es mit weißen Accessoires: zehenoffene Slingpumps, transparente Handschuhe, eine mit Organzablüten besetzte Kopfbedeckung, die heute als Fascinator bezeichnet würde und weißer Handtasche. Das i-Tüpfelchen war die Brosche, hier ein Blütenstiel.
Und was befand sich in der Handtasche?: ein blütenweißes, nach Kölnisch Wasser duftendes Stofftaschentuch, das mit weißer oder pastellfarbener Spitze umhäkelt war, ein Kamm, vielleicht auch ein kleines Fläschchen 4711 Kölnisch Wasser oder Tosca, ebenfalls von 4711, und ...
Puderdose mit Spiegel und dunkelroter Lippenstift von Margret Astor! Beides in elegantem, schwerem Messingbehältnis - für mich der Inbegriff des Luxus.
Das kleine, etwas quengelige Model trägt einen doppelreihig geknöpften Pepitamantel mit Samtkragen über einem hellblauen Matrosenkleid.
1957: Heller Mantel aus Tweed
Die Schuhe, die zu diesem Tweedmantel mit verdeckter Knopfleiste getragen wurden, sind der Clou dieser Kombination: es waren echte Schlangenlederpumps mit typischer Maserung und Schuppenstruktur des Obermaterials.
Die kleine Puppenmutter trägt zum Pepitamäntelchen ein rotes Filzhütchen.
1957: Hemdblusenkleid
Knopfreihe bis zur Taille, Blusenkragen, überschnittene Schultern, stoffbezogener Montagegürtel, schräge Taschen und Tellerrock waren die Merkmale dieses Hemdblusenkleids.
Neu war das Material: Perlon! Pflegeleicht und bügelfrei!
In der 2. Hälfte der 50er traten Stoffe aus "Kunstfasern" ihren Siegeszug an. Die Bevölkerung war offen für jegliche Art von Neuerungen.
(In der Folge kamen die berüchtigten Nylonhemden der Herren auf.)
Mit rotem Trägerrock zu Puffärmelblüschen und rotem Hut ist die Kleine unterwegs.
1957: Knotenkleid
Durchaus auch typisch für die zweite Hälfte der 50er waren Kleider im ausgestellten Bahnenschnitt. Bei diesem Modell ist das Bolero nur angedeutet, die beiden Stoffteile werden über der Brust geknotet. Die Schultern sind wieder überschnitten. An den seitlichen Bahnen sind ca. 30 cm hohe, eingereihte Teile eingesetzt, die Quernaht darüber wird mit einer Paspel betont.
Die Farben: elfenbeinfarbene Punkte auf altrosa Grund.
1959: Kleid mit leichtem Pettycoat

Auf dem Weg in die 60er wurden die weiten Röcke bereits wieder etwas kürzer.
Bei diesem Kleid mit V-Ausschnitt wird die Weite des ausgestellten Rock durch einen eingearbeiteten, leichten Pettycoat betont.
Der Rock ist in der Taille gekräuselt. Die Schnittteile des Oberteils sind ebenfalls gerafft. Die Raffungen, die von der Unterbrustnaht ausgehen, enden in den überschnittenen Schultern. Das Schnittteil unterhalb der Brust bis zur Taille ist ebenfalls gerafft. Ein entsprechendes Schnittteil befand sich auch auf der Rückseite.
Das kleine Mädchen trägt ein Hängerchen mit Rüschenbesatz aus Organdy, das große Mädchen ein Kleid mit angesetztem, weitem Rock, der durch einen eingearbeiteten Pettycoat Stand bekam.
Jahrzehnte später, es war im März dieses Jahres, entdeckte ich Stilelemente dieses Damenkleids wieder.
Mein déjà-vu: ein langes Kleid mit gerafften Schnittteilen im Oberteil.
Ich verliebte mich in den wunderschönen Druck und in den Schnitt, der mich sofort an "früher" erinnerte.
Behalten habe ich dieses Kleid nicht, leider. Ich hatte Sorge, dass es schon bei leichten Gewichtsschwankungen nicht mehr passen würde.
Wenn ich geahnt hätte, dass ...
Einige Gedanken zum Schluss
Ich schrieb einmal: "Wenn ich jemals im Leben ein modisches Vorbild hatte, dann war es Faye Dunaway im Film "Bonnie and Clyde"". Sie gab den Anstoß, mich zu "meiner" Rocklänge zu bekennen, die ihren Ursprung in der Mode der 30er Jahre hatte.
Wenn ich mir jetzt diese Fotos betrachte, bin ich überzeugt, dass auch meine Mutter einen wesentlichen Anteil an meinem Modegeschmack hatte. Als Kind habe ich ihren Stil sehr bewundert. Denke ich an meine Kindheit in den 50ern, dann ist manchmal sogar der Duft von 4711 Kölnisch Wasser oder Tosca präsent. Umgekehrt wecken diese Düfte Kindheitserinnerungen.
Modisch gesehen hat mir an den 50ern imponiert, dass jeder, egal aus welcher gesellschaftlichen Schicht, um sein Äußeres bemüht war. Sonntags und zu Anlässen zeigte man, was oder wer man war oder was oder wer man sein wollte.
Diese Sorgfalt ging im Laufe der zweiten Hälfte der 60er mehr und mehr verloren. Sonntagskleidung? - Wozu?
Bemerkenswert war, dass in einem Durchschnittshaushalt mit dem damals
üblichen Standardschrank im Schlafzimmer, die Garderobe zweier
Erwachsener sowie Bett-, Tisch- und Leibwäsche in
einem Schrank (von relativ geringen Ausmaßen) untergebracht waren.
Inwieweit haben Kinderjahre Einfluss auf den späteren Modegeschmack? Als Kind wurde ich oft anlassentsprechend gekleidet. Hat das meine Art mich zu kleiden geprägt?
Wie wird es bei den Mädchen sein, bei denen heute bunte Shirts und Jeans zur alltäglichen Kleidung gehören? Werden sie sich später mit Röcken und Kleidern anfreunden können? Werden sie es ertragen können, Bein zu zeigen?
Copyright
Außer dem Foto aus Burda sind alle weiteren Fotos aus meinem Familienbesitz und dürfen nicht anderweitig veröffentlicht werden.