Kolumne
Warum Christine und ich keine Freunde sind
Um es gleich vorweg zu nehmen, es geht
hier nicht um Zickenkrieg, sondern um eine ganz persönliche
Abrechnung mit Frauenzeitschriften.
Da ich niemandem zu nahe treten möchte,
der ein Fan bestimmter Frauenzeitschriften ist, nehme ich mir die
Freiheit, die Zeitschrift, zu der ich ein „besonderes Verhältnis“
habe, als „Christine“ zu bezeichnen. (Der Name ist also von der
Redaktion geändert.)
Von Stars und Sternchen zur Welt der Mode
Als ich Christine kennenlernte, war ich
gerade dem Bravo-Alter entwachsen (selten gekauft, aber regelmäßig
mitgelesen). Ich muss so etwa 14 gewesen sein.
Christine zeigte damals tolle Mode,
fantastisch präsentiert und hinreißend gestylt.
Es war Mitte und zweite Hälfte der
60er Jahre. F. C. Gundlach fotografierte für Christine. Seine
Modefotografie war bahnbrechend und fand später Eingang in
Bildbände, Ausstellungen und Museen. Später frisierte die junge
Marlies Möller für Christine, manchmal war es auch Udo Walz. Und
Christine zeigte nicht nur Mode, Christine machte Mode – Christine
war Mode!
Christine war Mode
Als Hot Pants aufkamen, war Christine
die erste Zeitschrift, in der eine Strickanleitung für diese Shorts
zu finden war. Schon zwei oder drei Wochen nach der Veröffentlichung
erschien eine Klassenkameradin mit hinreißenden gestrickten Hot
pants samt passendem Rollkragenpullover und Gürtel auf Hüfthöhe.
Toll! Der modeinteressierte Teil unserer Klasse war neidisch –
auch, weil besagte Mitschülerin eine Oma hatte, die ihr dieses
Outfit in Perfektion erstellt hatte. Meine Sitznachbarin bekam in
kürzester Zeit von Mutter und Tante nach Christines Strickmuster
einen Glockenrock mit passendem Wickelpulli in der Farbe apricot
gestrickt. Ebenfalls ein Outfit mit hohem Neidfaktor. (Wie ich später
erfuhr, trug sie dieses Outfit im Wechsel mit ihrer Cousine;-))
Nach Christines Anleitung häkelte ich
mir ein großes, schwarzes Dreiecktuch mit langen Fransen, das zu
Midi- oder Maxirock in Tweed oder Fischgrätmuster sowie schwarzem
Schlapphut getragen wurde. F. C. Gundlach hatte die Vorlage vor einer
Wand aus Stangeneis abgelichtet. Auf dem Foto sah es aus, als befinde
sich das Model im ewigen Eis.
Die Krönung der Hochphase der Strick-
und Häkelwelle waren farbenprächtige ausgestellte Kleider, die aus
bunt gemusterten kleinen Quadraten und Dreiecken zusammengesetzt
waren. Meine beste Freundin hatte sich solch ein Kleid in
wochenlanger Arbeit erstellt. Wie von der Christine-Redaktion
berichtet wurde, gingen noch Jahre später Fotos von Frauen ein, die
sich diesen Kleidertraum nach und nach erfüllt hatten.
Eine Zeitlang war jeder
Christine-Ausgabe ein Schnittmusterbogen mit genau einem Modell
beigefügt. Z. B. erschien das Schnittmuster für einem halbdiagonal
zu verarbeitenden 4-Bahnen-Rock. Er saß fantastisch – ganz ohne
Abnäher - und war die Basis für meine Kollektion an Midiröcken.
Einmal gab es einen Schnitt für ein
kleines Kostümchen, einen Glockenrock zum Wickeloberteil mit
Schößchen, wahlweise mit Langarm oder Puffärmel. Mehrere
Mitschülerinnen trugen dieses Kostümchen zu den Abiturprüfungen.
Ich hatte es mir in dunkelblau mit langem Arm genäht und in
hellblau-weiß mit kurzem Arm. Man war darin perfekt angezogen und
konnte sich bewundernder Blicke sicher sein.
Christine gibt Ratschläge
Neben dem umfangreichen Modeteil gab es
in Christine natürlich auch noch Kosmetik, Psycho-Tests, Kochrezepte
... und Ratschläge.
Ratschläge – ja, Christine erklärte
ihren Leserinnen, was ging und was nicht.
Eine kleine, stets hinter dem großen
Modeteil erscheinende Rubrik hieß „Das waren doch nicht etwa
Sie?!“
Klein, nur mit schwarz-weiß Fotos,
aber stets mit erhobenem Zeigefinger, wurde Problembewusstsein
geweckt.
Da zeigte ein Foto z. B. eine mit Hosen
bekleidete Frau, bei der sich an der Kehrseite der Rand der Unterhose
auf den Bäckchen deutlich abdrückte. Oder der BH kniff ein und
zeichnete sich hinten unter Pulli oder Bluse ab oder ein viel zu
kleiner BH zeigte vorn vier statt zwei Zapfstellen ...
Eine Haarfarbe, die heute als ombré
bezeichnet wird, die war völlig indiskutabel! Eine ausgewachsene
Blondierung im rückenlangem Haar konnte sich nur das Hippie-Mädchen
Michelle Phillips von den Mamas and Papas erlauben.
Erschiene diese Rubrik heute noch, dann
wahrscheinlich unter der Neusprech-Überschrift: „Das geht ja
gaaanich!“.
Christine weckt Problembewusstsein
Ja, Christine war ganz groß darin,
Probleme aufzuzeigen und Problembewusstsein zu wecken. Mischhaut oder
gar fettiges Haar? - große Probleme, die es zu bekämpfen galt.
Gelbstich in blondem Haar? Großes Problem! Weg damit – am besten
bekämpfen mit Silberfestiger. Schlupflider? Riesenproblem ...
Der Verlust meiner Vollkommenheit
Bis ich anfing, regelmäßig Christine
zu lesen, war ich ein vollkommenes Geschöpf. Gesund, alle Gliedmaßen
vorhanden und gerade, Zähne lückenlos, volle Seh- und Hörfähigkeit,
keine Akne, nur gelegentlich ein paar Pickelchen, glänzende blonde
Haare, ein gescheites Köpfchen, mit 165 cm nicht zu klein und nicht
zu groß, sondern genau richtig und mit einem Gewicht von ca. 60 kg
schlank aber nicht mager. So sah ich mich, so sah mich meine Familie
– aber Christine sah mich ganz anders ...
Apfelschnitze vom Baum der Erkenntnis
Christine verteilte Apfelschnitze vom
Baum der Erkenntnis, regelmäßig, in jeder Ausgabe.
So lernte ich, dass ich mit meiner
Größe viel zu klein wäre. Zu klein? Zumindest zu klein für den
Beruf des Fotomodells. Ich selbst fühlte mich nie zu klein – und
Fotomodell?, das war für mich kein Berufsziel.
Anders sah es mit meiner Mischhaut aus.
Hier ließ ich mir tatsächlich ein Problem einreden und folgte den
Empfehlungen des Kosmetikressorts, kaufte vom Taschengeld
Gesichtswasser und mattierende Creme (und sonstige Unnützlichkeiten).
Dann meine Haare ... oh je, im Sommer
bekamen sie doch tatsächlich (oder vermeintlich?) einen Gelbstich.
Also musste Silberfestiger her, der die Haare scheckig und drahtig
und klebrig (und schuppig?) machte. (Seit ich diese Phase der
Versuche und vor allem Fehlversuche beendet habe, lasse ich keinen
Festiger mehr an mein Haar, auch nicht beim Frisör.)
Dann mein Gewicht ... Der BMI war
damals noch nicht bekannt.
Es galt die Regel:
Körpergröße in cm –
100 in kg = Normalgewicht; Normalgewicht – 15% = Idealgewicht.
Ich lag gerade mal um ca. 5% unter
Normalgewicht. 15% weniger – da hätte ich 55 kg wiegen müssen!
Und dann hatte ich auch noch
Schlupflider ...
So lernte ich allmählich, unzufrieden
mit mir zu sein.
Nebenbei bemerkt: Schlupflider verloren
ihren Status als „Problemlider“ erst, als Claudia Schiffer auf
den Titelblättern erschien! War es übrigens nicht Christine, die
sich rühmte, Claudia Schiffer entdeckt zu haben?
Christine hat die Lösung
Für viele (Pseudo-)Probleme hatte
Christine eine Lösung parat. Die Dauerwelle z. B. war ein Mittel bei
zweierlei Problemen: dünnes Haar wird aufgeplustert und gewinnt an
Volumen und Standfestigkeit (!!!), fettiges Haar wird angeraut und
dadurch saugfähiger (!!!). Ebenso „hilft“ Haarefärben bei
fettigem Haar, weil es ebenfalls die Oberfläche anraut und
saugfähiger macht.
Zu dick? Kein Problem! Man musste nur
Christines Kochrezepte sammeln oder in Buchform kaufen und schon
konnte man sein Gewicht selbst bestimmen. Regelmäßig machte eine
Runde von rundlichen bis dicken Frauen mit Christine Diät und ließ
sich „vorher“ und „nachher“ fotografieren. „Nachher“
steckten dann schon mal zwei Damen in einem Rock, der früher von nur
einer Probandin ausgefüllt wurde. Natürlich versicherte jede Dame,
dass es kein Problem sei, mit 1000 Kalorien monatelang über den Tag
zu kommen. Schwieriger war es da schon, die winzigsten Mengen
abzuwiegen, die in den Rezepten standen. Um 5 g Halbfettmargarine für
ein Frühstücksknäckebrot abzuwiegen, schaffte ich mir extra eine
Briefwaage an. Natürlich wurde das Knäckebrot dann noch ganz
großzügig mit einer mittelgroßen Tomate belegt, und wer wollte,
konnte noch ein Teelöffelchen Schnittlauch darüber streuen, das
nicht einmal in die 1000 Kalorien-Bilanz eingerechnet wurde.
Christine brachte ihre Leserinnen auch
immer auf den neuesten Stand der Forschung – zumindest
ernährungswissenschaftlich. So wurde die frohe Kunde verbreitet,
dass fünf kleine Mahlzeiten viel besser seien als 3 große, weil
dadurch weniger Hunger aufkäme.
(Merkwürdig, ich glaube mich zu
erinnern, dass diese Parole etwa um die gleiche Zeit aufkam in der
auch Joghurt und Fruchtjoghurt die Regale der Läden eroberte.
Zufall?
Jedenfalls packten danach die
Sekretärinnen und Sachbearbeiterinnen in den Büros vormittags
(„morgens halb zehn in Deutschland“) ihren Joghurt aus und
murmelten beim Löffeln die Beschwörungsformel „5 kleine
Mahlzeiten sind besser als 3 große“.)
Wenn dann die Figur wieder rank und
schlank war, konnte man sie mit Christines Hilfe ganz einfach
erhalten, nämlich mit Christines Gymnastikprogramm. Dafür gab es in
einem Heft eine Fotostrecke mit Übungen. Und wer das
Gymnastikprogramm regelmäßig betreiben wollte, konnte sich das
Leben vereinfachen und eine Langspielplatte kaufen. Unterlegt mit
Musik des Orchesters Max Greger zählte eine Redakteurin vor:
beu---gen, beu---gen, beu---gen, ...
Christine verliert ihre Magie
Irgendwann waren Fachzeitschriften mir
wichtiger als Frauenzeitschriften. Nur noch gelegentlich kaufte ich
mir welche, z. B. vor längeren Flügen, um sie dann nur mit wenig
Interesse schnell durchzublättern. Was mir in den 80er Jahren
allerdings bei Christine auffiel, die in der Heftesammlung doch noch
dabei war, war, dass die Art der Fotostrecken sich deutlich verändert
hatte. Während die Modefotos in meiner Anfangszeit noch die Qualität
hatten, in Bildbänden verewigt zu werden, waren die Fotos jetzt von
eher fragwürdiger Qualität. Oft kauerten die flippig gewandeten
Models von schäbig fleckigen Wänden wie in Abbruchhäusern. Mein
Gedanke dabei war dann „was soll das???“.
Das Ende kam abrupt
Mittlerweile gab es Christine auch für
die erwachsene Frau. Das schaute ich mir an. Nun ja,
Endvierzigerinnen, die den Rocker in sich entdeckten oder
Mittfünfzigerinnen, die von Jeans mit schwarzem Pulli nun auf beige
und Kurzhaarschnitt wechselten, Berichte darüber, dass Liebeskummer
im fortgeschrittenen Alter mindestens so schmerzhaft sei wie in
jungen Jahren und eine Kolumnistin, die sich darüber beklagte, dass
sie der neuen Kommunikationstechnik kaum noch folgen könne. Wen
interessierte das? Mich nicht!
Ich hatte wieder einmal einen sehr
langen Arbeitstag hinter mir. Im Businesskostüm eilte ich durch den
Bahnhof, kaufte am Kiosk noch schnell eine Christine und eilte weiter
zum Bahnsteig. Ich stieg in den Zug und – ratsch – am neuen
Kostüm war beim Einsteigen der Gehschlitz um etwa 3 cm aufgerissen.
Das passierte mir immer. Ich hasste Kostüme mit Bleistiftröcken und
ich weigerte mich, mir beim Einstieg in Bahn oder Bus den Rock bis
zur Schenkelmitte hochzuziehen. Verärgert setzte ich mich und begann
in Christine zu blättern. Eigentlich hätte sich jetzt ein Wunsch
erfüllen und das Heft hätte einige elegante Alternativen zum
verhassten Businesskostüm aufzeigen sollen. Stattdessen: bunter
Gipsy-Look mit Netzstrümpfen und Klimperketten, das Model in der
Hocke kauernd vor einer schäbigen Wand ... mir reichte es. Das hatte
rein garnichts mit meiner Lebenssituation zu tun. Verärgert klappte
ich das Heft zu und ließ es beim Aussteigen liegen.
Schluss, Ende – nie wieder Christine.
Einige Zeit später entdeckte ich für
mich kragenlose, farbige Bouclé-Jacken mit schwarzem Bahnenrock und
Seidenbluse – meine Alternative zum androgynen Businesskostüm.
Hier einige Teile, die ich mir nach Christine-Schnitten genäht hatte:
Hier einige Teile, die ich mir nach Christine-Schnitten genäht hatte:
Jaja... so hat denn jede ihr eigenes 'Christine'-Trauma... ;) Besonders perfide fand ich, als vor einiger Zeit der Model-Verzicht erklärt wurde, es sollten nur noch 'Frauen wie Du und Ich' zum Einsatz kommen, großes HAHA!!!! Diese Frauen waren alles andere als Durchschnitt, vielleicht hatten sie mal ein Pfündchen mehr als ein professionelles Model oder zwei Sommersprossen oder waren ein paar Jahre älter, aber im Großen und Ganzen waren das alles ausnehmend schöne Frauen und beileibe nicht die Frau von nebenan.
AntwortenLöschenFür mich ging diese angebliche Revolution nach hinten los, tut mir leid.
Ein paar Jahre später griff man dann auf professionelle Models zurück, aus Kostengründen! Der Aufwand und die Shootings waren mit den Ungeübten zu teuer geworden.
LG Elke
Ach Elke, ich sehe schon, Du kennst Christine auch;-)
AntwortenLöschenEin toller Artikel! Ich habe damals auch so einen Christine-Verschnitt gelesen, pubertierenderweise, auch laut vorgelesen, weil Omas Augen nicht mehr wollten. Insgesamt habe ich mich meistenteils lustig gemacht über diese Blättchen, aber der fade Beigeschmack nie wirklich dazuzugehören blieb. Ich war eben auch: zu klein, zu dick, eine typische T-Zone der Problemhaut. Die Haare zu langweilig, Mode - für mich doch nicht! Naja. Hätte man mir damals gesagt, dass ich jetzt zu dem Thema bloggen würde, ich hätte ihn ungläubig angestiert. Damals blieb mir nur die Flucht in den Trotz - dass nämlich das Inwendige meines Schädels viel wichtiger wäre, als das Äußere...
AntwortenLöschenLG G.
Ich habe deinen Artikel mit sehr viel Interesse gelesen. Leider wohne ich zu kurz in Deutschland um erraten zu können um welche Zeitschrift es sich handelt. Ich danke aber, dass fast jede Frau so eine Zeitschrift hatte die ihr viel dummes "eingeredet" hat. Es sind ja auch nicht nur Zeitschriften sondern auch das TV, die Reklametafeln, das Internet... überall sieht man wie eine Frau aussehen sollte und wir, ganz normalen, sehen so nicht aus.
AntwortenLöschenIch lese zurzeit auch keine Frauenzeitschriften mehr, egal ob in meiner Muttersprache auf Deutsch oder Englisch. Irgendwann bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass sie immer wieder das selbe zeigen und über die selben Probleme schreiben.
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